Shanghai, Dakar, Bukarest, Lyon. Drei Kontinente, vier Städte, vier Arbeitsalltage, vier Leben, vier Menschen am Morgen eines neuen Tages. Sie alle arbeiten an den unterschiedlichsten Positionen der Firmenhierarchie für das gleiche weltweit operierende Kommunikationsunternehmen. Und doch verbindet sie mehr als der Name des Konzerns, für den sie arbeiten. Die preisgekrönte rumänische Autorin Alexandra Badea beschreibt in ihrem Stück „Zersplittert“ wie die Globalisierung massiv in den Alltag von ganz normalen Menschen eingreift.
Auf den ersten Blick könnten die Jobs und Arbeitsbedingungen dieser Vier unterschiedlicher nicht sein. Der französische Qualitätsmanager weiss morgens nicht mehr, in welcher Stadt er sich befindet. 48 der nächsten 122 Stunden wird er im Flieger verbringen, um in den Bereichen Entwicklung, Produktion und Kundenbetreuung nach dem Rechten zu sehen. Die chinesische Fertigungskraft steht ihre 10-Stunden-Schichten auf weniger als einem Quadratmeter Fläche am scharf überwachten Fliessband durch. Tausende Kilometer westlich, in Dakar, drillt ein senegalesischer Teamleiter seine Callcenter-Mitarbeitenden auf ganz für den französischen Absatzmarkt ausgerichtete Kundenfreundlichkeit. In Bukarest versucht derweil eine Entwicklungsingenieurin, dem Unternehmenscredo „Unser Ziel ist Exzellenz“ nachzukommen – ein neuer Job in der Firmenzentrale in Frankreich winkt.
Was diese vier Menschen eint: Der globalisierte Arbeitsmarkt hat ihr privates Leben quasi pulverisiert. Die Arbeit allein bestimmt ihren Tagesablauf. Durch Liefer- und Leistungsdruck, Selbstverwirklichungszwang und menschenverachtende Routinen haben sie die Fähigkeit verloren, echte Beziehungen zu leben und sich daran zu erinnern, was sie sich eigentlich wünschen. Wie weit sie sich dabei von ihren Familien, Freunden und Lebensträumen entfernt haben, wird ihnen in einem fast zwanghaften Alltag nur schemenhaft deutlich.
Alexandra Badea, 1980 in Rumänien geboren, studierte in Bukarest Regie. Seit 2003 lebt sie in Paris und arbeitet als Autorin und Drehbuchautorin in Frankreich und Rumänien. Ihr Stück «Zersplittert» wurde 2013 mit dem Grand Prix de Littérature Dramatique ausgezeichnet, als Hörspiel in Frankreich und Deutschland gesendet und am Théâtre National de Strasbourg uraufgeführt. Die deutschsprachige Erstaufführung fand im September 2015 am Schauspielhaus Graz statt.
Am 23. Februar 2016 findet im Anschluss an die Vorstellung ein Publikumsgespräch mit Viviane Hösli vom Aargauischen Gewerkschaftsbund und Beteiligten der Produktion statt.
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Theater Marie über „Zersplittert“:
„Die Globalisierung ist eine Sache, die sich selber nicht fassen lässt. Sie besteht aus ganz vielen Erzählungen. Diese Erzählungen bleiben in der Schreibe einer rumänisch- französischen Autorin immer eine Behauptung. Sie sind es aber, die uns näher an fremde Welten bringen. Nur über Erzählformen können wir uns gedanklich bewegen.
Die Inszenierung stellt eine Balance zwischen Einsamkeit und kollektiven Aktionen her. Wir lernen vier Menschen kennen, die gegen Verbitterung kämpfen. Sie sind alle in ihrer Weise wurzellos. Zwischen ihrer Arbeit und ihrem Lebensgefühlt klafft eine riesige Spalte der Entfremdung. Diese Wunde schmerzt. Sie schmerzt die Dargestellten, sie schmerzt die Sprechenden und sie schmerzt die Zuhörenden. Das Stück liest sich aber als Schrei nach Liebe, nach Wärme, nach Sinnhaftigkeit. Und es gibt sie diese Elemente eines guten Lebens. Sie sind in der teilnahmsvollen Sprache von Alexandra Badea zwischen den Zeilen zu hören. Keiner der vier Protagonisten hat aufgegeben. Sie kämpfen gegen den Druck an und sie streben nach einem harmonischeren Leben.“
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