Kurz vor der Erlösung
Ein Sprechoratorium zu Weihnachten von Michael Fehr
Matterhorn Produktionen

Michael Fehr ist mit seinen 34 Jahren einer der Shooting Stars der jungen Schweizer Literatur, der mit seiner eigenwilligen Sprache Leser wie Kritiker zu begeistern weiss. Regisseurin Ursina Greuel und ihre Gruppe Matterhorn Produktionen haben den Erstling des Autors, eine Weihnachtsgeschichte der etwas anderen Art, als Sprechoratorium inszeniert. In 17 Sätzen (musikalisch statt grammatisch gemeint) wird die biblische Geschichte für einmal neu erzählt.
Sprechend und stolpernd, tastend und tönend macht sich das Darstellerensemble auf den Weg durch die verschlungenen Geschichten Fehrs. Das Stück schickt Menschen und Gruppen in einem Reigen von Wörtern mäandernd auf die Suche nach der Erlösung. Da ist der Bauer, der Müller und der Scheinbare Fischer und wirkliche Säufer, dort singt der Männerchor und die Kantorei – und was das unterschiedliche Figurenkabinett miteinander verbindet sind die Glocken der Kathedrale, die sie alle gleichzeitig hören, unabhängig davon, wo sie sich gerade befinden: in der Wüste, auf dem Schlachtfeld oder am Stammtisch. Maria und Josef begegnen den Zuschauern, damals wie heute auf der Suche nach Asyl. Fusssoldaten marschieren vorbei, Jäger pirschen sich an, und selbst der Pastor erklimmt einsame Höhen (wenn auch nur auf der Kanzel). Jede dieser Geschichten mündet in Gesang, und kaum eine findet ihr Ende. Was bleibt, ist die Sehnsucht nach dem erlösenden Schlussakkord, nach Ankunft, nach Rettung. Am Schluss bleibt der Gesang. Und es stellt sich die Frage, ob dieser Gesang die Erlösung sein könnte.
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Michael Fehr hat ein ungewohntes Schreib-Verfahren: Aufgrund einer angeborenen Sehschwäche arbeitet Fehr sozusagen hörend statt sehend. Lustvoll lauscht er dem Klang der Wörter nach, klopft sie auf ihren Rhythmus ab, dreht und wendet sie, bis sie sich wie von selber in das Gewebe des Textes einfügen. Insofern ist Michael Fehr der ideale literarische Gefährte für Regisseurin Ursina Greuel, die mit ihrer Gruppe Matterhorn Produktionen seit Jahren ein spezielles Sprechtheater pflegt: Es sind radikal sprachkonzertante Arbeiten, in denen das gesprochene Wort nicht nur Inhalt und Bedeutung transportiert, sondern zugleich als klanglich-rhythmisches Element fungiert. „Kurz vor der Erlösung“ ist ein Stück über den Zustand des Steckenbleibens in der Glückssuche. Der Chor plädiert dafür, aus der unendlichen Halleluja-Spirale auszutreten zugunsten eines Zustands, in dem der Mensch endlich lernt, mit offenen Fragen zu leben. Gerade vor Weihnachten.
Michael Fehr erhielt für diesen Text den Literaturpreis des Kantons Bern. „Zwei so schmale wie gewichtige Bücher hat Michael Fehr mit dieser Methode bisher hervorgebracht. 2013 erschien ‚Kurz vor der Erlösung', ein wundersames Oratorium in siebzehn Langsätzen. Es erzählte von einer Winternacht in und um Bern, in der Bauern, Soldaten, Jäger, Müller, aber auch ein König, eine Rockband und ein Männerchor aus verschiedenen Richtungen alle einem Punkt zustrebten: dem mitternächtlichen Glockengeläut der Kathedrale. Schon mit diesem Text war klar, dass sich hier eine ganz neue und eigene Stimme in der Schweizer Literatur erhob. Mit ‚Simeliberg’ bestätigt Fehr nicht nur seinen Rang, sondern erweitert auch sein Ausdrucksspektrum. Er beweist, dass er sich nicht nur auf polyfone Sprachwelten versteht, sondern auch auf packende Geschichten.“ (Neue Zürcher Zeitung) „Mit Franziska von Fischer, Fabienne Hadorn, Krishan Krone, Markus Mathis und Michael Wolf hat Ursina Greuel ein ausgewogenes, hervorragend sprechendes Ensemble. Sie geben der Sprache Zeit, gliedern Fehrs komplexe Sätze sorgfältig, wenn nötig, mit langen Pausen, und machen ihre Musikalität und ihren feinen Witz hörbar. Sie alle schlüpfen in unterschiedliche Figuren, unterstützt von Bettina Ginsbergs einfachen, leicht zu wechselnden Kostümen. Ginsberg hat auch die Bühne entworfen, mit einem groben Holztisch und passenden Stühlen sowie einer Treppenkonstruktion, die mal als Hochsitz, mal als Kanzel dient.“ (Berner Zeitung) „Kleine Besetzung, aber grosses Theater.“ (Bündner Zeitung)
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Mit: Franziska von Fischer, Fabienne Hadorn, Krishan Krone, Markus Mathis, Gustavo Nanez, Michael Wolf.
Regie: Ursina Greuel.
Ausstattung: Bettina Ginsberg.
Licht/Technik: Jens Seiler.
An den Glocken: Gustavo Nanez.
Produktion: Matterhorn Produktionen.
Koproduktion: Theater Chur, Gare du Nord Basel, Schlachthaus Theater Bern, Kleintheater Luzern und Neuestheater.ch Dornach.