Ueli Bichsel gehört zu den Urgesteinen des Schweizer Theaterschaffens und hat auch in Aarau eine grosse und treue Fangemeinde. Nun kommt er als Schauspieler in dem Stück "Selber schuld", das einen hochkomischen Generationenkonflikt auf die Bühne bringt, ins Theater Tuchlaube.
Ein älterer Herr, gespielt von Bichsel, stellt voller Enthusiasmus ein junges Talent vor: Annika Schwebitz. Mit ihr hat er einen generationenübergreifenden Abend erarbeitet und sie haben grosse Pläne. Denn – da sind die beiden überzeugt – man kann alles werden, wenn man es nur wirklich will. Und so scheint jede ihrer Nummern zum Ziel zu haben, den Beweis für ihren Glaubenssatz zu liefern.
Doch von Anfang an liegen Realität und Idealvorstellung weit auseinander. Annika Schwebitz scheint alles anders zu interpretieren, als der Alte sich das gedacht hat. Die Begrenzungen werden sichtbar. Doch die junge Frau lässt sich nicht gerne begrenzen. Sie nimmt die Fäden in die Hand und macht den Alten mehr und mehr zu ihrer Marionette. "Selber schuld" ist das erste eigene Projekt der Zürcher Rapperin und Regisseurin Anna Frey. Mit ihren langjährigen Weggefährten Ueli Bichsel und Anne Wiese, brutaler Komik und kritischem Spürsinn trägt sie eine Fragestellung auf die Bühne, die uns alle immer wieder umtreibt: Wie weit gehen wir im Kampf um einen Platz in der Manege des Lebens?
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Die Kunst ist kein gesellschaftliches Refugium. An Theaterschulen unterziehen sich karrierewütige Studierende willfährig der gnadenlosen Zurechtstutzung für den Arbeitsmarkt, wie überall, denn es lockt das Versprechen der Elterngeneration: "Ihr könnt alles erreichen, wenn Ihr nur wollt." Wer scheitert, wollte wohl nicht genug. Selber schuld! Die junge deutsche Schauspielerin Anne Wiese gehört zu eben jener Generation, die alles daran setzt, sich einen Platz in der Welt zu sichern. Identitäten sind für sie so auswechselbar wie Kostüme. Auf der Bühne eröffnet sie ein Spektakel der Spielweisen, erschafft eine Welt nach der anderen, erfindet alle Sprachen neu und lässt Ueli Bichsel hinterherstolpern, im besten Falle. Doch der ersehnte Applaus bleibt aus und gerät zu einem peinlich berührten Räuspern, bei ihr wie bei ihm. Und so wird die Manege mehr und mehr zur Arena für die beiden. Gekämpft wird mit faulen Taschenspielertricks, absurden Wortgebilden und nackten Fäusten. Alles wird benutzt und alles wird verraten. Doch sie inszenieren auch das noch und schaffen Räume jenseits der psychologischen Muster. Verloren, wie sie sind, stellen sie die Verlorenheit dar. Immerhin. The show must go on and on and on and on …
"Selber schuld" lotet das Gefälle zwischen der Euphorie totaler Selbstüberschätzung und der brutalen Beurteilung unserer selbst und der anderen aus. In der Spannung, die zwischen diesen beiden Polen entstehen, tut sich ein immenses Spielfeld zwischen Komik und Tragik auf: Enttäuschung und Scheitern, völlige Überforderung und eine daraus resultierende strategische und manipulative Haltung stehen der Möglichkeit gegenüber, die Figuren über sich hinauswachsen zu lassen, neue Realitäten zu inszenieren und zu erkennen, dass etwas nicht weniger echt ist, weil es erfunden ist.
Das Konzept zu dem Theaterstück "Selber schuld" stammt von Anna Frey. Als Regisseurin hat Frey in der Vergangenheit bereits mehrfach mit ihrem Vater Ueli Bichsel zusammengearbeitet, zuletzt in der Produktion "Nichtsnutz", für die Bichsel mit seiner Duopartnerin Silvana Gargiulo auf der Bühne stand. Die Musik zu "Selber schuld" stammt von dem Gitarristen Flo Stoffner. Mit ihm ist Frey seit 2009 als Rapperin zu hören.
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