Was heisst es, sich ein Morgen vorzustellen? Was für Fähigkeiten sind gefragt? Welche kulturellen Bedingungen sind dafür notwendig?
Der Sinn für Zeitlichkeit ist im Menschen tief verankert. Ohne unsere angeborene Fähigkeit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu unterscheiden, kämen wir nicht weit. Wir könnten weder Pläne schmieden noch die kleinste Entscheidung fällen, die über unser unmittelbares Befinden hinausgeht. Der Blick in die Zukunft ist uns wesentlich und gäbe es keine Projektion in die Zukunft, unsere Welt stünde still. Doch trotz dieser natürlichen Neigung zur Zukunft, bedarf es scheinbar besonderer Fähigkeiten, um sich Zukünfte vorzustellen, die mehr sind als die blosse Wiederkehr des Bekannten. Gerade in unseren Breitengengraden scheint es aktuell schwierig, Zukunftsentwürfe zu formulieren, die nicht einfache, abhängige Ableitungen der Gegenwart sind – oder in der Apokalypse münden.
Im Rahmen von "Proberaum Zukunft" gehen wir der Frage nach, unter welchen Bedingungen die Zukunft als Möglichkeitsraum wahrgenommen werden kann. Gemeinsam mit der Historikerin und Soziologin Prof Dr. Caroline Arni und dem Literaturwissenschaftler und Autor Prof Dr. Thomas Strässle suchen wir im Gespräch nach einem Denken, das sich – dem aktuell schlechten Ruf der Zukunft zum Trotz – mit Recht utopisch nennen darf.
"Proberaum Zukunft" ist ein dreijähriges Theater- und Gesellschaftsprojekt von Marcel Grissmer, Nikolai Prawdzic und Sarah Verny. Am 22. April 2020 feiert ihr Stück "Heute über Morgen" Premiere.
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Projekt «Ein Proberaum Zukunft für die Region Aarau»
Die Gruppe SHIFT ist ein Theaterkollektiv bestehend aus Sarah Verny, Nikolai Prawdzic und Marcel Grissmer. Die drei Theaterschaffenden teilen einen unumstösslichen Glauben daran, dass in diesen entmutigenden Zeiten mittels Theater ein Beitrag in Richtung einer wünschenswerteren Zukunft geleistet werden kann. In diesem Sinne ist das Ziel der Gruppe SHIFT für das dreijährige Residenzprogramm SZENOTOP, gemeinsam mit den Menschen der Region Aarau, Zukunft nicht nur neu zu denken, sondern auch konkret zu gestalten.
Denn es sieht schlecht aus für unsere Zukunft. «The Day after Tomorrow», «The Handmaid’s Tale», «Black mirror» – die ehemalige Traumfabrik Hollywood macht es vor: Wir können uns besser das Ende der Welt vorstellen, als eine bessere Welt. Utopien scheinen tot und das in einer Zeit, in der uns mehr und mehr klar wird, dass es so nicht weitergehen kann: Klimakatastrophe, der stete Machtzuwachs der Konzerne, der damit einhergehende Demokratie-Abbau, die weitreichende Prekarisierung und die immer obszöner werdende Schere zwischen Arm und Reich, um nur die Spitze des Eisbergs zu nennen.
Wir sind davon überzeugt, dass der Kunst – und gerade dem Theater als sozialste der Künste – in dieser Situation eine politische Rolle zukommt: als Pre-enactor der Zukunft, als Proberaum unserer Vorstellungskraft. Das Theater kann Settings schaffen, in denen Fragen nach der Gestaltung unserer Zukunft mutiger und freier verhandelt werden können, als es beispielsweise die Politik tut. Im Theater können Zukünfte nicht nur angedacht, sondern gemeinsam erprobt werden.
In den nächsten drei Jahren wird SHIFT mit der Unterstützung des Aargauer Kuratoriums und der Tuchlaube Aarau und in Zusammenarbeit mit den Menschen aus der Region einen Proberaum Zukunft in Aarau bauen. Hierfür sind drei Schritte angedacht: erstens, das Sammeln und Archivieren von Zukunftsvorstellungen der Menschen aus der Region, zweitens, das real-fiktive Erproben dieser Zukünfte und drittens, die Entwicklung konkreter, lokaler Zukunftsprojekte in der Region.
TEIL I. «Was wir über morgen gewusst haben werden»
Für unsere erste Produktion (Premiere im April 2020) sammeln wir zunächst in einer Reihe von Workshops Zukunftsvorstellungen und utopische Narrationen von Menschen in der Region Aarau, sowie Erfahrungsgeschichten und Erinnerungen aus der Geschichte dieser Region. Das verlangt eine intensive Auseinandersetzung mit den hiesigen Menschen, Vereinen und Parteien und deren Zukunftsentwürfen, sowie mit Zeitzeug*innen der Vergangenheit. Dabei interessieren wir uns für das Zusammendenken globaler Entwicklungen mit lokalen Herausforderungen. Hier geht es um Geschichte und Geschichten, und um spekulative Positionen, aus denen man eine erstrebenswerte Zukunft zu imaginieren vermag. «Was wir über morgen gewusst haben werden» ist ein Theaterstück basierend auf Begegnungen mit einer möglichst vielfältigen Auswahl von Menschen aus der Region Aarau, die wir zu einer real-utopischen Zukunft befragen, in der wir behaupten bereits angekommen zu sein.
Medienkontakt:
Nikolai Prawdzic: 079 101 14 12 Sarah Verny: 076 578 48 84
Marcel Grissmer (*1983) wuchs in den Vereinigten Staaten und Deutschland auf. Er studierte an der Georg-August Universität Göttingen Politikwissenschaften, Philosophie und VWL bevor er 2007 an die Zürcher Hochschule der Künste wechselte, wo er seinen BA und MA of Arts in Theaterpädagogik erhielt. Als Gründungsmitglied des Kollektivs Neue Dringlichkeit (nd-blog.org) untersucht er Möglichkeiten gesellschaftlicher Wirksamkeit von Kunst. Er arbeitet in vielfältigen Kontexten, stets darum bemüht, die Grenzen und Möglichkeiten ästhetischen Handelns auszuloten. Seine Arbeiten wurden unter anderem in der Schweiz, Deutschland, und Israel gezeigt. Als Theaterpädagoge und Kunstvermittler an Kulturinstitutionen begleitet ihn stets die Frage nach der Durchlässigkeit und Zugänglichkeit von Kulturproduktionsstätten. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ZHdK und unterrichtete regelmässig an der Fachhochschule Nordwestschweiz. 2015 bis 2017 leitete er das Junge Theater Solothurn. Seit 2017 leitet er die Vermittlung an der Gessnerallee Zürich. Marcel lebt in Zürich.
Nikolai Prawdzic (*1989 in Zürich) studierte zunächst Soziologie, Volkswirtschaft und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau, bevor er 2016 sein Masterstudium in Dramaturgie an der Zürcher Hochschule der Künste begann und im Winter 2017 mit der Abschlussinszenierung „Schweizer Revolution – ein Preenactment“ erfolgreich beendete. Er arbeitete als Regieassistent am Schauspielhaus Zürich sowie als Dramaturgieassistent am Luzerner Theater. Neben seiner künstlerischen Arbeit ist er auch politisch aktiv und leitete unter anderem in seiner Funktion als politischer Sekretär und Mediensprecher der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) mehrere Kampagnen zu nationalen Volksabstimmungen. Nikolai ist ab der Spielzeit 19/20 als Dramaturg am Theater Neumarkt in Zürich engagiert.
Sarah Verny (*1987 in Zürich) studierte sowohl im Bachelor als auch im Master Theaterpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und schloss 2019 mit der Produktion MAYBE BABY ab. Mit dem Kollektivabschlussprojekt „ifwe – Institut für Welterklärungen“ gewann sie für das Rahmenprogramm des Festivals Blickfelder – Künste für ein junges Publikum den Förderpreis, welchen die ZHdK für herausragende Abschlussprojekte vergibt. Sie assistierte an der Schaubühne Berlin und übernahm in der Spielzeit 2015/2016 die Theaterpädagogik am Konzert Theater Bern. Seit 2017 leitet sie den Publikumsclub Voyeure Zürich. Sarah arbeitet freiberuflich in Zürich und Berlin.
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